Donnerstag, 10. Juli 2008

Letzte Tage in Bolivien

Eigentlich hat sich in den letzten 10 Tagen nichts sonderlich Spektakulaeres (vgl. letzter Beitrag) zugetragen. Wir waren dabei, unsere letzten Tage in Bolivien zu verbringen, die wollen wir kurz schildern:

Wir hatten vor, von Rurrenabaque, dem Ort der vielen Tierbeobachtungen, auf direktestem Wege (also NICHT ueber La Paz!) nach Santa Cruz, der Tieflandmetropole, zu gelangen. Das bedeutete eine lange und womoeglich anstrengende Busfahrt auf unasphaltierten Stassen auf uns nehmen zu muessen. Die ueber Trinidad fuehrende Strecke wird selten von Touristen frequentiert, da es am Weg kaum touristische Attraktionen zu besichtigen gibt. Eine "Reise off the beaten track", wie es im Travellerjargon so schoen heisst, stand uns also bevor und wir machten uns auf das Schlimmste gefasst. Und die Bolivianer taten alles um unsere Berfuerchtungen zu uebertreffen.
Zusammen mit drei anderen Touris fanden wir uns, so wie uns geheissen wurde, um Mitternacht an der oertlichen Busstation ein.
Kurz nach 1 Uhr bog tatsaechlich ein Bus, einer von der klapprigsten Sorte, um die Ecke und hielt an. Keiner der unfreundlichen Chauffeure machte Anstalten, nach neuen Fahrgaesten zu fragen. Im Gegenteil, es hatte fast den Anschein, als ob es ihnen zutiefst zuwider waere, noch Leute einsteigen zu lassen. Wir verstanden auch schnell warum: Der Bus war schon haltlos ueberfuellt, ein Grossteil der Fahrgaeste waren Kinder (Ferien, na klar!), die uns mit grossen Augen anstarrten. Man hat sogar schon kleine Klappstuehle in den Mittelgang gestellt, um zusaetzliche Sitzplaetze zu schaffen.
Ein uebler Geruch (eine Mischung aus Babykacke und Erbrochenem) schlug uns entgegen, als wir auf der Suche nach einem freien Sitzplatz vorsichtig ueber die Menschen, die kreuz und quer lagen, im Dunklen drueberstiegen. Nachdem noch ein paar Kinder mehr unter die Sitze zusammengeschoben wurden, gab´s dann doch die Moeglichkeit fuer uns sich zu setzen. Roli erwischte ueberhaupt den Schleudersitz in der letzten Reihe, direkt ueber den nichtvorhandenen Stossdaempfern. Da der Sitz nicht mehr gut verankert war, wurde er bei jeder Unebenheit, und von denen gab es auf den Schotterstrassen viele, in die Hoehe und nach vorne katapultiert.
Ich hingegen sass neben einem Vater mit seinem ca. 4-jaehrigen Sohn, der einen derart unruhigen Schlaf hatte, dass ich staendig irgendwelche Kinderaermchen oder -beine reingeboxt oder getreten bekam. Im angenehmsten Fall wurde ich von einer kleinen Kinderhand staendig betatscht....
An Schlafen war nicht zu denken!
Nach einer kurzen Fruehstueckspause ging die Fahrt weiter, die aber nach 15 Minuten wieder fuer eine gute Stunde unterbrochen wurde, da wir eine Reifenpanne hatten.
Tagsueber wurde es immer ungemuetlicher im Bus, immer heisser, staubiger, stickiger. Das Gefaehrt strotzte nur so vor Dreck, so auch die kindlichen Fahrgaeste.
Der Laermpegel war enorm: Der Bus selber, der krachend in die Schlagloecher raste, die Dauerbeschallung mit immer ein und der selben Musikkassette, das Kindergeplaerre und -geraunze und zu guterletzt das Papageiengekreische. Ja, richtig gelesen, eine Frau hatte ihren zahmen Papagei dabei, der natuerlich auch schon unrund wurde und seinen Unmut kund tat, indem er seiner Besitzerin laufend auf die Schulter schiss!
Von einer Mittagspause wurde, obwohl wir schon Hunger hatten und aufs Klo mussten, abgesehen, da die Herren Busfahrer anscheinend die verlorene Zeit gutmachen wollten. Auf mehrmaliges Nachfragen wurde uns versichert, dass es eh nicht mehr weit sei nach Trinidad. Wer´s glaubt wird selig!
Dann mussten wir noch drei Fluesse ueberqueren. Kein grosses Ding, wenn´s Bruecken gaebe, aber nachdem jaehrlich aufgrund der Regenzeit die Fluesse aus den Ufern treten, gibt´s die nicht. Alle Fahrzeuge werden auf einfachste Holzflosse verladen, die bringen sie dann ans andere Ufer. Bei Fluss Nummer Eins ging das noch gut. Bei Fluss Nummer Zwei war die Uferboeschung fuer unsere alte Klapperkiste zu steil, dass wir wieder zurueck aufs Floss rollten. Dann drifteten wir zur Seite und mussten alle aussteigen, denn nun war´s den Busfahrern recht, mal mittagzuessen in den angrenzenden "Tschumsen".
Also warteten wir sicher eine Stunde. Dann versuchte es unser "Busfloss" an einer anderen Uferstelle - nur an dieser Auffahrtsschneise hatte schon ein LKW angedockt. Der war aufgrund seiner Ueberladung aber mit der Hinterachse durchs Holz des Flosses gekracht und steckte fest. Es dauerte eine Zeit bis wir erkannten, dass unsere alte Buskiste versuchte den LKW abzuschleppen - bald darauf hoerten wir einen lauten Schnalzer. Zuererst dachten wir, die Abschleppkette sei gerissen. Doch dann lagen all unsere Chauffeure ploetzlich unter dem Bus - niemand sagte uns bescheid, was passiert war. Die Busfahrer waren schon stinksauer. Soviel konnten wir noch aus ihnen herausbekommen, dass die Reparatur Stunden dauern konnte. Wir vermuteten, dass die Antriebswelle abgerissen war.
Geistesgegenwaertig schnappten wir unsere mit einer dicken Staubschicht bedeckten Rucksaecke (Dreck war uns zu diesem Zeitpunkt schon ziemlich egal) aus dem Gepaecksfach und versuchten wo anders mitfahren zu koennen, denn die Sonne stand schon sehr tief. Wir wollten so schnell als moeglich von diesem unseeligen Ort wegkommen! Binnen weniger Minuten sassen wir auf einer Kleinlasterladeflaeche. Dort hatten wir alle Muehe, uns bei dem Geholpere festzuhalten - doch endlich, welche Erleichterung, 12 km vor Trinidad gab´es ploetzlich eine Asphaltstrasse!
Nach 15 Stunden gelangten wir dort an unser Ziel. Urspruenglich wollten wir einen Tag in Trinidad verweilen und uns erholen, wir ueberlegten es uns aber anders, sodass wir ein paar Stunden spaeter erneut uber Nacht weiter nach Santa Cruz fuhren, diesmal in einem luxurioeseren Bus.

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Drei Tage blieben wir in Santa Cruz, das bereits gut ueber eine Million Einwohner zaehlt, und genossen alle Vorzuege einer modernen Stadt.
In unserem Hostel liess sich´s aushalten. Es hatte einen begruenten Innenhof mit Haengematten. Ausserdem konnten wir die hauseigenen zahmen Tucane bewundern.
Es war auch mit einer gut ausgestatteten Kueche versehen. Diese Gelegenheit nutzten wir, um uns seit langem wieder einmal Spaghetti a la "UrsiRoli" zu kochen. Dazu genossen wir eine Flasche argentinischen Wein - welch selten gewordene Gaumenfreuden!

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Ergaenzt wurde dieser gelungene Abend mit einem interessanten Fussbalspiel im Fernsehen: das Rueckspiel des Finales der Copa Libertadores stand auf dem Programm, das suedamerikanische Pendant unserer Championsleague. Die Partie fand im altehrwuerdigen Maracanã-Stadion, in Rio de Janeiro, statt. Es standen sich Fluminense Rio de Janeiro (Brasilien) und LDU Quito (Ecuador) gegenueber. Die 11 aus Rio musste an diesem Tag ein 2:4 aus dem Auswaertsspiel aufholen, was ihnen mit einem 3:1 Heimsieg auch tatsaechlich gelang. Da im Finale die Auswaertstorregel ausser Kraft gesetzt war, ging´s in die Verlaengerung, die torlos blieb. Die Entscheidung wurde dann im spannenden Elfmeterschiessen herbeigefuehrt, in welchem Quito die staerkeren Nerven hatte und als Sieger vom Platz ging. Das glich einer Sensation, war es doch der erste Copa Libertatores Erfolg einer Mannschaft aus Ecuador.
Wir besuchten auch den Zoo, wo wir noch den Jaguar, den wir ja in der Wildnis leider nicht beobachteten, das Guerteltier und das Faultier (in freier "Wildbahn"!) bewundern konnten.

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Wo es teure Boutiquen, schicke Restaurants, Bars und Cafes, teure Autos und taeglichen Verkehrsstau, moderne Buerogebaude, Diskoteheken, Freibaeder gibt, muss es auch begueterte Menschen geben, die all dies nutzen bzw. verursachen. Und tatsaechlich sahen wir in Santa Cruz einen ganz anderen Typus Bolivianer/Bolivianerin: Selbstbewusst, modernst gekleidet, in teuren Waegen, geschaeftig, mit Schmuck behangen, staendig das Handy am Ohr, in Cliquen spazierend und laut unterhaltend, rauchend,... Solche Leute hat man im Altiplano kaum gesehen. Es war also auch fuer uns ganz offensichtlich wahrzunehmen: Im Tiefland ist der Reichtum zuhause, hier wohnt die begueterte Klasse. Die aermeren HochlandbewohnerInnen verschlaegt´s teilweise auch hierher, um ihr Glueck zu versuchen und enden dann beim Verrichten niederer Dienste und beim Betteln!
Das Land ist in der Tat gespalten zwischen Hochland und Tiefland, es ist unuebersehbar! Ebensowenig wie die allerorts postierten Autonomiebestrebungsplakate! All diese Beobachtungen machten uns traurig und nachdenklich.

Nach Santa Cruz genehmigten wir uns noch drei erholsame Tage im drei Stunden entfernten "Luftkurort" Samaipata. Dort haette man zwar auch allerlei unternehmen koennen, wir beschlossen aber uns ganz der passiven Erholung und Entspannung zu widmen. So nuetzten wir die Ruhe, um unsere Buecher auszulesen und unseren zweimonatigen Bolivienaufenthalt zu reflektieren.
Das Land hat uns gefallen und beeindruckt, keine Frage. Obwohl in letzter Zeit immer mehr kritische Toene von uns angeschlagen wurden, bleiben doch die vielen positiven, schoenen Erlebnisse im Vordergrund.
Dieses Land hat einmalige Naturschoenheiten zu bieten. Unserer Meinung nach werden diese fuer den Tourismus viel zu unprofessionell vermarktet. Oft hatten wir den Eindruck, dass den BolivianerInnen gar nicht bewusst ist, welche Schaetze ihr Land birgt. Wuenschenswert ist es , dass sich in Zukunft ein verantwortungsvollerer Umgang mit Tourismus und Umwelt herrausbildet.
Wir vermuten auch, dass ein Grossteil der Unzulaenglichkeiten in der Unwissenheit der Menschen und im Mangel an Bildung begruendet liegt. Der Geisel der Menschheit!

Wieder in Santa Cruz bestiegen wir seit langem wieder einmal den Zug, der uns gute 600km weiter gen Osten, an die bolivianisch-brasilianische Grenze bringen sollte.
Die Fahrt ueber Nacht war im Vergleich zu den Busfahrten wirklich angenehm und sie fuehrte uns durch spaerlich bewohntes Pampagebiet. Immer wieder tauchten vor den Fenstern Gasfelder, der Ursprung des neu erworbenen Reichtums, auf. Daneben die riesigen Weideflaechen der Estancias.
Diese Weite des Landes machte sich noch eine besondere Bevoelkerungsgruppe zu Nutze, um ungestoert ihren Interessen nachzugehen: die Mennoniten, eine christliche Glaubengemeinschaft. Wir haben ein wenig ueber sie nachgelesen: Die Mennoniten sind Eigenerwerbsbauern und versuchen ein gottgefaelliges Leben zu fuehren, indem sie nur arbeiten, arbeiten und arbeiten und natuerlich beten. Froehlichkeit ist strikt untersagt, es herrscht eine patriachalische Gesellschaftsstruktur Die Frauen und Maedchen haben sehr unterdrueckt gewirkt, haben nie auch nur einmal gelaechelt. Allesamt sahen sie aus wie aus dem vorvorigen Jahrhundert, und genauso lebten sie auch. Die Maenner waren allesamt mit blauen Latzhosen und karierten Hemden bekleidet, die Frauen trugen hochzugeknoepfte knochellange Kleider und Haarkraenze, die oft von einem Kopftuch verborgen blieben. Viele, der urspruenglich aus Europa oder Nordamerika eingewanderten Mennonitenfrauen beherrschen scheinbar nicht die spanische Sprache und bei den seltenen Einkaeufen in der Stadt wird der Ehemann zum Sprechen vorgeschickt. Dieser geht natuerlich an der Spitze der Familie, dahinter die maennlichen Nachkommen und dann erst die Frauen. In mannchen Gemeinden wird uebrigens auch der Einsatz von Traktoren abgelehnt, da man damit auch spazieren fahren koennte und das waere ja nicht "gottgefaellig". Ziemlich exotisch dieses Leben und das mitten in der bolivianischen Pampa.

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