Montag, 29. September 2008

Am Amazonas in der Haengematte

Schon des Busfahrens ueberdruessig leisteten wir uns von Sao Luis nach Belém, unserer naechsten Destination, einen Flug.
Diese 1,3 Millionen Einwohner zaehlende Metropole liegt suedlich des Amazonasdeltas und ist neben Manaus, dem Stadtrivalen, einer der bedeutendsten Staedte der Region Amazonien.
Wir wurden nach unserem einstuendigen Flug abgeholt, naemlich vom Couchsurfer Wagner (Vorname) Meier (Nachname), 24 Jahre alt, und seinem Vater Werner Meier. Ja, ihr habt richtig gelesen, die Familie hiess wirklich Meier. Die Urgrosseltern von Herrn Meier sind naemlich, wie so viele andere Deutsche, Mitte des 19. Jahrhunderts nach Brasilien ausgewandert, wo sie sich allerdings hauptsaechlich im Sueden des Landes ansiedelten. (Da gibt´s sogar ein in Brasilien sehr bekanntes Oktoberfest, das dort jaehrlich in der Stadt "Blumenau" veranstaltet wird!)
Die Familie Meier uebersiedelte vor zehn Jahren hierher in die tropische Schwuele Belems, weil Vater Meier ein gutes Jobangebot bekam.
In der neuen Fordlimousine wurden wir in die Wohnung in zentraler Lage kutschiert, wo schon Frau Luise Meier mit dem Mittagessen, vom Hausmaedchen zubereitet, wartete. Alle Familienmitglieder sind berufstaetig, aber es ist hier ueblich lange Mittagspausen zu halten. Daher kommen immer alle nach Hause zum Essen und zum Siesta halten. So kamen wir auch gleich in den Genuss der typisch brasilianischen Hausmannskost: Reis und Bohnen, dazu Fleisch, Fisch oder Gefluegel. Familie Meier war sehr grosszuegig und so kam es, dass wir jeden Tag mit ihnen zu Mittag assen, jeden Tag Reis und Bohnen in verschiedenen Varianten.
Es war auch eine der wenigen Moeglichkeiten mit Wagner zu plaudern, denn er war waehrend der Woche leider mit Arbeit und anschliessender Abenduni sehr beschaeftigt.
Mit unserem jungen Gastgeber unterhielten wir uns in englisch, mit Herrn Meier haupsaechlich in deutsch. Er hatte seine helle Freude daran, seine ziemlich guten Deutschkenntnisse an den Mann bzw. an die Frau zu bringen. Er trank auch gerne Bier und fuehrte uns zweimal zum Biertrinken aus. Ueberhaupt taugte ihm die deutschsprachige Kultur, das ging so weit, dass er im Auto "Kastelruther Spatzen" auflegte. Wir konnten uns ein breites Grinsen nicht verkneifen :-) Wir beschaeftigten uns in Belem aber natuerlich nicht nur mit der Familie Meier.
Der Aufenthalt war auch von viel organisatorischer Taetigkeit gepraegt. Organisation, die sich hauptsaechlich im Internet abspielte, und wobei wir auch dank Wagners Grosszuegigkeit Kosten sparen konnten, denn wir durften den PC des juengeren Bruders (momentan in Australien) verwenden. Ausserdem mussten wir uns auch um unsere Schiffsfahrkahrte kuemmern, denn von Belem aus startete ja unsere mehrtaegige Amazonasschiffahrt flussaufwaerts, die in Manaus enden sollte. Fuer diese Reise besorgten wir auch noch Haengematten, in denen wir am offenen Deck des Schiffes schlafen wollten.
Zwischen all diesen Besorgungen wollten wir die Sehens-wuerdigkeiten Belems natuerlich auch nicht zu kurz kommen lassen. Herausragendes historisches Gebaeude ist das Theater "La Paz", aus dem Jahre 1878, prunkvoller Beweis einstigen Reichtums, der von der Kautschukgewinnung herruehrte.
Dann gibt es noch die alten Befestigungsanlagen, einige schoene Kirchen und nicht zu vergessen den Ver-o-Peso (woertlich: "Schau auf´s Gewicht") Fisch-und Gemuesemarkt, der uns, wie bei jedem Markt, mit seinem Treiben und seinen Geruechen in den Bann zog.
Uebrigens wird Belem auch die Stadt der Mangobaeume gennannt. Witzig haben wir gefunden, dass es eine eigene Autervericherung auf "Mangofallobstschaeden"gibt.
In den fuenf Tagen hatten wir auch Gelegenheit einige besondere Spaezialiataeten der Region kennenzulernen: Unseren staendigen Durst aufgrund der schweisstreibenden drueckenden Schwuele loeschten wir mit Agua de Coco (= Kokosnusswasser). So eine Kokussnuss gab´s an jedem Strasseneck um maximal 80 Eurocent. Rehydriert ideal. Dann gabs da noch Açaí (sprich: Assa-i). Das ist Fruchtfleisch und Saft der Beeren der Kohlpalme. Es kann als Eis oder Saft vezehrt werden und ist unheimlich energetisch. Man ist dann wirklich voll nach Açaí. Und es schmeckt sehr lecker, wir konnten schwer einen Vergleich mit bekannten Geschmaeckern herstellen. Farblich erinnert´s auf alle Faelle an Heidelbeer-Brombeermus.
Ausserdem erfuhren wir auch, dass die Cashewnuss aus Brasilien kommt und eigentlich gar keine Nuss im eigentlichen Sinn ist. Und man kann auch den fleischigen gelbroetlichen Teil der Cashew (= brasilian.:Cajú) als Obst essen. Seltene exotische Fruechte gibt es hier, die kennt nicht mal so mancher Brasilianer beim Namen! Und der Grossteil stammt eben aus dem an Naturschaetzen reichen Regenwald.
An einem Abend waren wir bei Couchsurfer Luis und seiner Freundin Ursula eingeladen. Die beiden waren sehr nett und servierten uns ein ebenfalls sehr eigenartiges Gericht, das sich Maniçoba (sprich: Manisoba) nannte. Es war Fleisch in wie Spinat oder Kohl anmutendem Gemuese. Es handelte sich aber um die tagelang gekochten Blaetter der Maniokpflanze. Das ueberlange Kochen ist notwendig, um die enthaltene Blausaeure herauszubekommen! Geschmeckt hat´s fantastisch und wir haben auch keine gesundheitlichen Schaeden davongetragen!
Und aufs Geburtstagsfeiern haben wir natuerlich auch nicht verzichtet. Wir organisierten ein Treffen mit Couchsurfern und unseren britischen Freunden. Es war ein sehr lustiger und gelungener Abend in einem Bierlokal am Amazonasufer.

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Fischerhafen in Belem

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Roland beim Kokosnuss schluerfen

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Açai

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Cashew-Frucht

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Ver-o-Peso Markt

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Geburtstagsrunde

Am 19.9. war es dann soweit: Nachdem wir schon fruehmorgens unsere Haengematten an einer geeigneten Stelle am Schiff angebracht hatten mussten wir dann am Nachmittag bei neuerlichem Betreten des Schiffs feststellen, dass man uns umgehaengt hat und dass zu unserem Entsetzten die Haengematten nach unserem Geschmack viel zu dicht positioniert waren. Geahnt haben wir es ja eh schon im Vorhinein, dass dies keine Luxuskreuzfahrt werden wuerde, spaetestens zum Zeitpunkt des Auslaufens aus dem Hafen war dies Gewissheit. Der Kreutzer war eindeutig ueberladen und auch nicht mehr der neueste. Aber was solls, wir mussten uns arrangieren und so richteten wir uns mehr schlecht als recht zwischen all den Gepaecksstuecken, Menschen und Haengematten ein. Das Schlafen in Haengematten will auch gelernt sein, bis man eine geeignete Liegeposition gefunden hat, dauerte es eine Weile und der/die NachbarIn bekam dabei immer ein paar Boxhiebe ab. Aber umgekehrt mussten wir genauso unsere Rempler einstecken. Roli bekam Platzangst, das liegen Hintern an Hintern behagte ihm nicht sonderlich, und er fluechtete ans Baroberdeck, wo er dann alleine schlief.
Die Zeit tagsueber verging mit essen, lesen, doesen, reden und Gegend beobachten. Es war ein bisschen mit der Reise in der Transsib zu vergleichen, nur dass die Transsib eine Luxusreise im Vergleich dazu war. Am ersten Tag passierten wir noch verhaeltnismaessig enge Wasserwege, man konnte das Ufer genau beobachten und darauf intakten Regenwald erkennen. Immer wieder tauchten einfachste Holzhuetten mit Steg zum Fluss hin auf, hier lebten die Fischerfamilien. Ihr Fortbewegungsmittel war das Kanu, das schon die kleinsten Kinder lenken konnten. Die waren so geschickt, dass sie es schafften unser Schiff in voller Fahrt zu entern, um ihre mitgebrachten Waren zu verkaufen. Wir fetteten so unser Mittagsmahl auf, indem wir Shrimps und Palmherzen (eingelegtes Inneres des Stammes der Kohlpalme, schmeckt ein bisschen wie Artischocken) kauften.
Am zweiten Tag gelangten wir dan auf den Hauptstrom des Amazonas. Dieser Fluss ist gewaltig! Dadurch, dass wir ja gegen die Stroemung fuhren, hielt sich der Kapitaen immer am Ufer entlang. Das Gegenueberliegende konnten wir so fast nicht mehr ausmachen, man fuehlt sich fast wie am Meer, so breit ist der Strom! An manchen Stellen zwischen 15 und 20 Kilometer!
Die Landschaft am Ufer veraenderte sich flussaufwaerts und der Regenwald war schon abgeholzt und musste den Rinderherden weichen.

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Haengemattenidylle

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Frachtschiffe

Auf halber Strecke ungefaehr gingen wir in der Stadt Santarém an Land. Dort hielten wir uns aber nicht auf, sondern fuhren weiter in den benachbarten Ort Alter do Chao. Dieser wurde uns als ideal zum Entspannen empfohlen, da er schoene Flussstraende aufweisen wuerde. Und wirklich: Der kleine Ort war sehr verschlafen. Eine Bucht des Amazonaszuflusses Rio Tapajó wurde vom Haupstrom durch eine sandige Halbinsel abgetrennt, sodass der Eindruck entstand, dass man es mit einem See zu tun hat. Wir knuepften unsere Haengematten an einen knorrigen Baum am Stand und genossen nach dem lauten Durcheinander am Schiff die Ruhe und unseren Lesestoff.

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An den unmoeglichsten Orten trifft man auch die unmoeglichsten Menschen: Wir kamen ins Gespraech mit einem gut sechzigjaehrigen marrokanischstaemmigen Franzosen, der auf deutsch viele interessante Geschichten zu erzaehlen wusste und der uns anfangs glaubwuerdig zu verstehen gab, dass er eine Hotelkette in Marokko besaesse, er es aber vorzog, ein einfaches und mehr abenteuerliches Leben zu fuehren. Die Begegnung mit ihm endete so, dass er uns eine Geschichte auftischte, die besagte, dass er aufgrund abhandengekommener Bankkarten keine Moeglichkeit besaesse zu Geld zu gelangen. Spaetestens dann wurde die Sache suspekt. Nachdem es sich um keinen geringen Geldbetrag handelte, entschieden wir uns ihm nicht mehr zu vertrauen, und ihm kein Geld zu leihen, ob seine Geschichten nun stimmten oder nicht.
Froh, diesen Typen endlich abgehaengt zu haben, bestiegen wir wieder das Schiff um endlich nach Manaus zu gelangen. Diesmal erwischten wir ein besser gewartetes, was aber nicht bedeutete, dass wir bessere Bedingungen zum Schlafen vorfanden. Wir hatten den Eindruck, dass wir noch enger beisammenlagen als am letzten Schiff. Der folgende Reiseabschnitt dauerte weniger lang als der erste. Nach insgesamt vier Tagen und fuenf Naechten am Schiff kamen wir in Manaus, der Hauptstadt des Bundesstaates Amazonas mit 1,7 Mio. Einwohnern, an. Wir legten also 1700 km am Wasserweg zurueck. Obwohl es, wie schon erwaehnt, keine sehr komfortable Reise war, bereuten wir es keine Minute nicht geflogen zu sein. Das Schiff ist DAS Transportmittel schlechthin in Amazonien. Wir bekamen dadurch den besten Einblick in das alltaegliche Leben der Menschen, die in dieser Region wohnten. Nur so bekamen wir eine Idee ueber die unglaubliche Laenge des Amazonas, der an die 10 000 Nebenfluesse aufweist. Es wuerde nochmal eine knappe Woche Fahrtzeit bis zur peruanischen Grenze beanspruchen! Wir erinnerten uns auch an unseren Peruaufenthalt, wo wir in Arequipa schon ganz in der Naehe von einem der Urspruenge des Amazonas waren. Unfassbar!
Die Ausdehnung des Regenwaldes konnten wir nur erahnen. Fluss und Wald stellen zweifelsohne ein einzigartiges schuetzenswertes Oekosystem dar!
In Manaus wollten wir nicht viel Zeit verbringen. Aus touristischer Sicht hat die Stadt nicht sehr viel zu bieten. Es gelang uns, ein klassisches Konzert, vorgetragen vom Kammerorchester Amazonia, im "Teatro Amazonia" zu besuchen. Wie in Belem wurde dieses in der "Gummiaera" Ende des 19. Jahrhunderts erbaut und ist sehr prachtvoll.
Nachdem das Geschaeft mit dem Kautschuk ab 1910 nicht mehr lief, verfiel die Stadt. Erst die 1957 eingefuehrte Freihandelszone gab der Wirschaft den noetigen Aufschwung. Heute sind in Manaus bekannte Firmen der chemischen und technischen Industie ansaessig.
Die Stadt liegt am Rio Negro, nicht am Amazonas selbst. Die beiden Fluesse haben unterschiedliche Wassereigenschaften, die auffallendste ist die unterschiedliche Farbe. Der Amazonas ist kaffebraun ,der Rio Negro, wie der Name schon sagt, schwarz. Erst nach ungefaehr 11 Kilometern vermischt sich das Wasser, vorher fliessen sie als schwarz und braun nebeneinander her!

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Hafengelaende in Manaus

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Teatro Amazonas

So viele uns vorher nicht gekannte Dinge hat Brasilien zu bieten. Dieses Land war voller Neuem fuer uns. Drei Monate war nicht zu viel Zeit, um dieses faszinierende Land voller (sozialer) Gegenaetze ein wenig naeher kennenzulernen.

Aber: "Heute ist nicht aller Tage, wir kommen wieder, keine Frage."
Einstweilen ruft fuer´s naechste Abenteuer Venezuela.

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